Standpunkte 4/2019

bestand: ‚Der ist doch Kult, und muss durchhalten, bis ich einen Führerschein habe‘, war ihr Wunsch.“ Auf Konzernebene hat Stefan Dräger die Nachhaltigkeit seit 2007 im „One-Drä- ger-Programm“ festgeschrieben, lange bevor europäische oder angloamerika- nische Regelwerke moderne CSR-Stan- dards vorgeschrieben haben. Keine Aus- nahmen vom fairen, nachhaltigen und korruptionsfreien Umgang mit Kunden wie Stakeholdern selbst in entlegensten Ländern, das sichert das Ausbleiben von Problemen mit Korruptionsvorwürfen und eifrigen Behörden, die auch nach haltlosen Vorwürfen intensiv weitersu- chen – „lever Schaden as Schimp“, wusste ja schon Ur-Ur-Großmutter. Schaden ohne Schimpf verursachen hingegen jene Unsicherheiten, die von politischen Verwerfungen ausgehen, etwa in Nordamerika. Der zehnprozen- tige Zollaufschlag, den Präsident Donald Trump für in den USA gefertigte Drä- ger-Vitaldatenmonitore verlangen lässt, weil sie aus China importierte Elekt- ronikkomponenten enthalten, mache die Produktion dort unrentabel: „Die nächste Produktgeneration wird woan- ders produziert“, kündigt Stefan Dräger gegenüber Standpunkte erstmals öffent- lich an. Auch deutsche Debatten um Kli- maabgaben oder eine Vermögenssteuer, die Familienunternehmer wie die Drä- gers treffen würden, seien Gift für den Standorterhalt. Der steht in den Lübecker Drägerwer- ken nicht zur Debatte, wohl aber die Unternehmensstruktur und die Fortent- wicklung der Mitarbeiterqualifikation: „Wenn wir früher – vereinfacht gesagt – Maschinen für Gesundheit und Sicher- heit gebaut und in die Welt expediert ha- ben, bietenwir heute Hard- und Software an, setzen auf vernetzte Systeme und im- plementieren sie über lange Zyklen beim Kunden“, weiß Stefan Dräger. Vom Ni- schen-Maschinenbauer mit Service zum Dienstleister rund um Technik für das Leben, das verlangt nach neuen Fähig- keiten und Fertigkeiten, nach fortgebil- deten oder neuen Mitarbeitern. Effizienz und Kostenstruktur der Drägerwerke „Ich fahre seit 30 Jahren elektrisch.“ stehen ohnehin auf dem Prüfstand, nachdem schon im letzten Jahr das Kon- zernergebnis vor Zinssaldo und Steuern (EBIT) um fast 60 Prozent auf gut 62 Mil- lionen Euro sank. Die IG Metall-Mitglie- der der Lübecker Belegschaft stimmten Mitte September mit überwältigender Mehrheit dafür, dass Gewerkschaft und Konzernleitung Verhandlungen über die Restrukturierung zur Kostenanstiegsbe- grenzung aufnehmen, der Aktienkurs des seit 40 Jahren börsennotierten Un- ternehmens stieg darauf sprunghaft. Stefan Dräger weiß gerade in dieser Situation um seine besondere Verant- wortung als Familienunternehmer in fünfter Generation. Den Anspruch des Johann Buddenbrook aus der Feder Tho- mas Manns, die Lebensweisheit seiner U-Ur-Großmutter bringt er mit Blick auf seine Verweildauer an der Spitze des Konzerns auf den Punkt: „Ich werde die operative Unternehmensführung nicht über ein halbes Jahrhundert bis in mein achtzigstes Lebensjahrzehnt ausüben, wie es wie mein Großvater getan hat. Wenn ich die Verantwortung irgend- wann übergebe, will ich danach hier ganz normal durch die Stadt gehen kön- nen und die Leute sollen sagen: Das ist der Dräger, ein Lübecker Unternehmer.“ Alexander Luckow „Dräger X-plore 5500“ bis zum hypermo- dernen „Smart Pilot View“für Anästhe- sieärzte, das die Narkosetiefe der Patien- ten aktuell und in der Vorausschau be- rechnet – die Produktpalette ist groß, der Softwareanteil steigt, Vertrieb und Ser- vice werden weltweit immer wichtiger. „Wer wie wir Technik für das Leben baut, hat es mit dem Thema Nachhal- tigkeit auf den ersten Blick einfacher“, sinniert Dräger – keine Abgasdebatten, keine Antriebsrevolution, davon träumt mancher Auto-, Schiffs- und Flugzeug- bauer. „Aber beim genauen Hinsehen ist es komplizierter: Allein die Mobilität unserer Mitarbeiter in Lübeck und in der Welt verlangt nach umweltgerechter Planung“, weiß der seit 2005 amtierende Vorstandschef. Der passionierte Radfah- rer musste etwa mit Versicherungen und Stadtbehörden einen langen Kampf aus- fechten, bis auf dem alten Werksgelände in Lübeck St. Lorenz-Süd ein zentraler Fahrradparkplatz genehmigt wurde – Radeln auf dem Betriebshof als Risiko und Herausforderung für deutsches Re- gelwerk und seine Wächter. Einfacher war da schon der Bau eines Blockheizkraftwerks im neuen Werk 3 am Lübecker Stadtrand, das mit den Ga- sen der nahegelegenen Abfalldeponie Niemark betrieben wird – „ein Teil unse- rer Zukunftsfabrik“, sagt Stefan Dräger nicht ohne Stolz. Und vergleichsweise im Handumdrehen funktionierte die Umstellung der kleinen Dienstwagen- flotte für die fünf Dräger-Vorstände auf Elektromobilität: „Mein Tesla, den am Wochenende auch die Mitarbeiter aus- leihen können, hat jetzt über 200.000 Kilometer gefahren“, berichtet der weit- gereiste Ingenieur. Das kalifornische Elektromobil war übrigens nicht das erste im Hause Dräger, sagt der Tradi- tionsunternehmer mit Tüftlergen: „Ich fahre seit 30 Jahren elektrisch, mit ei- nem Glasfaser-Kunststoff-Microcar aus französischer Fertigung, umgebaut auf einen Vier-Quadranten-Antrieb mit Drehstrom-Asynchron-Motor. Als der Wagen einen Achsbruch hatte, habe ich einen zertifizierten Achsenschweißer ausfindig gemacht, der ihn reparierte, schon weil meine jüngste Tochter darauf „Lever Schaden as Schimp.“ Foto: Christian Augustin Klimaschutz dank Industrie Nachhaltiges Denken, Industrieproduktion im Einklang mit Klimaschutz oder sogar als Geschäftsmodell zugunsten von Umweltschutz, das ist längst Industriealltag. In der September-Ausgabe von Standpunkte TV – abrufbar über die Website www.nordmetall.de oder den Youtube-Kanal NORDME- TALL TV – diskutiert diese Thematik auch Tobias Marsen , Chef des Drä- ger Umweltmanagements (l.). „Wir wollen unseren CO 2 -Fuß- abdruck über den gesamten Lebensweg der Produkte verringern“, berichtet der 48-Jährige. „Das geht von den Rohstoffen über die energie- sparende Produktion, die Ver- meidung von Lufttransporten bis zur umweltschonenden Nutzung und dem Recycling“ – Technik für das Leben mit Klimasiegel. 40 4/2019 Standpunkte NORDMETALL 41 4/2019 Standpunkte NORDMETALL

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