Standpunkte 4/2018

Zeit bei Airbus in der Hansestadt kamen sie auf die Idee, Brennstoffzellen so zu modifizieren, dass sie nicht nur zur Energieerzeugung, sondern auch zum Brandschutz einsetzbar sind. Brennstoffzellen erzeugen bei der Re- aktion vonWasserstoffmit Sauerstoff Energie. Den Sau- erstoff entnehmen die von Frahm und Exler konzipier- ten Brennstoffzellen aus der Umgebungsluft. Der Sauer- stoffgehalt sinkt soweit, dass keinFeuermehr entstehen kann. „Die ideale Lösung für Rechenzentren sowie La- ger- und Logistikhallen“, sagt Frahm. Von der Idee bis zur Realisierung war es ein weiter Weg. Airbus unterstützte seine beiden ehemaligen Mitarbei- ter zwar bei der Firmengründung, doch für den Bau ei- ner Demonstrationsanlage fehlte den Jungunterneh- mern das Geld. In Mecklenburg-Vorpommern stieß ihr Vorhaben auf offene Ohren. Im Technologie- und Ge- werbezentrum Schwerin/Wismar (TGZ) bekamen sie Büroräume und Gründungsunterstützung. Das Wirt- schaftsministerium schoss immerhin 600.000 Euro zu. So zogen die Jungunternehmer 2009 nach Mecklen- burg-Vorpommern und realisierten am TGZ in Wismar die erste Anlage der Welt für Energie und Brandschutz. Inzwischen haben sie mehrere Anlagen verkauft und der japanische Konzern Fuji Electric, der auch bei der Firmengründung unterstützte, hat die Mehrheitsantei- le an ihrem Unternehmen „N2telligence“ erworben. Für TGZ-Geschäftsführer Klaus Seehase ist das eine der vielen Erfolgsstorys, die das seit 28 Jahren arbeitende Gründerzentrum vorweisen kann. „Wir haben mehr als 400 technologieorientierte Firmen begleitet, die inzwi- schen über 2.500 Arbeitsplätze geschaffen haben“, sagt er. „Gemessen an den Investitionen ist das eine sehr günstige Art der Wirtschaftsförderung“, fügt er an. Sein Anspruch: Das Wachstum seiner Unternehmen soll über dem wirtschaftlichen Durchschnittswachs- tum liegen. Seehase: „Für das Wachstum müssen die Unternehmen sorgen, wir können aber ein bisschen von hinten schieben.“ Metall in Form bringen Anschieben können Wirtschaftsförderer auch, wenn es darum geht, bestehenden Unternehmen bei For- schungs- und Entwicklungsvorhaben (FuE) zu helfen. Ein Beispiel dafür ist die Stralsunder Spezialfirma Ost- seestaal. Das Stahlbauunternehmen war jahrelang als Zulieferer für die Schiffbauindustrie aktiv, diversifizier- te aber noch vor der großen Finanzkrise 2008/09 seine Produktion. Die Spezialisten für die Ver- und Umfor- mung von Stahl und Metallteilen beliefern heute Kun- den in den Bereichen Schiff- und Flugzeugbau, Wind- kraft, Industrie und Architektur. Vor allem in Verbundforschungsprojekten mit der Hochschule Stralsund und der Universität Rostock be- traten die Metallbauer Neuland. So entwickelten sie ein Verfahren zur 3-D-Kaltverformung von Grobblechen. Damit können bis zu 80 Millimeter dicke Bleche in fast jede Form gebracht werden. Vorteil: Vormals zeit- und kostenaufwendige Arbeiten, zum Beispiel für Rotor- blätter von Windkraftanlagen, können nun schneller und günstiger ausgeführt werden. Ein echter Mehrwert für das Unternehmen. Rund 1,6 Millionen Euro des mehrjährigen, fünf Millionen Euro schweren FuE-Vor- habens kamen aus europäischen Fördertöpfen. Dr. Thomas Kühmstedt, technischer Direktor bei Ost- seestaal, zu den Zielen solcher Projekte: „Wir forschen, um das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten, Ar- beitsplätze langfristig zu sichern und aufzubauen. Häu- fig betreten wir damit Neuland. Ein Risiko, das wir ohne Fördergeld nicht eingehen könnten und würden.“ Of- fenbar lohnt es sich: Ostseestaal hat seine Belegschaft kontinuierlich aufgestockt und beschäftigt inzwischen mehr als 160 Mitarbeiter in Stralsund. Es tut sich was in Mecklenburg-Vorpommern. Doch trotz einer deutlichen Verbreiterung der Branchenland- schaft konstatiert Knut Kleidon, Referent für Wirt- schaftsförderung bei der Vereinigung der Unterneh- mensverbände in Mecklenburg-Vorpommern, dass der Anteil des produzierenden Gewerbes noch immer ver- gleichsweise gering sei. „Das zu ändern, daran arbeiten Angelika Zimmermann, Chefin der ZIM Flugsitz GmbH, und Michael Sturm, Geschäftsfüh- rer der Landeswirtschaftsför- derungsgesellschaft Invest in Mecklenburg-Vorpommern, betonen vor allem die Stärken des Landes: ausreichend vorhandene Flächen und ein motiviertes und qualifiziertes Arbeitskräftepotenzial. Foto: Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut gemeinnützige GmbH Prof. Dr. Henning Vöpel, Direktor des Ham- burgischen WeltWirtschaftsInstituts, HWWI, zu Breitbandausbau, Digitalisierung und internationaler Vernetzung. Standpunkte: Wirtschaftsförderung – welche Teil- bereiche gehören aus Sicht der Wissenschaft dazu? Vöpel: Standortpolitisch ist es wichtig, Wirtschafts- und Wissenschaftsförderung aufeinander abzu- stimmen. Ohne eine thematische Kongruenz ist es schwierig, einen lebendigen und „natürlichen“ Wis- senstransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu organisieren. Zudem sollten speziell technologiein- tensive Unternehmen angesprochen werden, weil sie erstens in Zukunft wesentliche Wachstumstreiber sein werden und zweitens die größte Nähe zur Grundlagen- forschung haben. Darüber hinaus ist eine Gründerkul- tur aus den Universitäten heraus wichtig. Sie lösen Aktivität aus und bringen neues Wissen. Standpunkte: Was muss der Staat tun, was kann er tun und wo sollte er sich möglichst heraushalten? Vöpel: Wie immer gilt: die Rahmenbedingungen setzen, um private Kräfte bestmöglich zur Entfaltung kommen zu lassen. Mit der Digitalisierung erleben wir jedoch den größten Strukturwandel seit vielleicht 150 Jahren. Es gilt daher, die infrastrukturellen und regulatorischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche digitale Transformation zu schaffen. Das betrifft nicht allein den Breitbandausbau, sondern erfordert eine grundlegende Reform des Datenrechts, des Arbeitsmarktes und der Bildung. Die technologischen Umbrüche in der Wirtschaft erfordern letztlich einen Umbau der Gesellschaft. Standpunkte: Worauf sollte sich intelligente Wirt- schaftsförderung in Zeiten von Digitalisierung und Industrie 4.0 fokussieren? Vöpel: Digitalisierung bedeutet die Vernetzung von allem mit allem durch den Austausch von Daten. Da- „Politik darf nicht zu klein denken!“ durch lösen sich Branchengrenzen auf. Innovationen und neue Geschäftsmodelle entstehen vor allem zwischen den Branchen. Das wiederum erfordert ein völlig neues Verständnis von regionalen Inno- vationssystemen. Die Wirtschaftsförderung sollte bewusst den Austausch zwischen den Clustern verbessern. Das ist letztlich auch ein Kulturwan- del, weil es bedeutet, traditionelle Strukturen und Mentalitäten zu überwinden. Wer den Mut dazu hat, wird schneller und somit erfolgreicher als andere sein. Standpunkte: Wie kann das Kirchturmdenken zahlreicher Kommunalpolitiker überwunden werden – oder belebt auch hier Konkurrenz das Geschäft zum letztendlichen Nutzen aller? Vöpel: Kollaboration und Interdisziplinarität werden extrem wichtig. Das eigene Wissen reicht in Zeiten der Vernetzung nicht mehr aus. Man muss gucken, dass man sich nach Möglichkeit internati- onal vernetzt, Relevanz schafft und dichter an das heranrückt, was sich gerade in großer Geschwindig- keit um uns herum verändert. Die Politik darf nicht zu klein denken und nicht zu spät reagieren. wir gemeinsam mit Wirtschaftsförderern, Industrie- undHandelskammern und der Politik.“ Einwachsendes Problem im ganzen Land macht das auch im Nordosten zunehmend schwerer: der Fachkräftemangel. Eine wei- tere Herausforderung kommt in Mecklenburg-Vorpom- mern dazu: die stark ausbaufähige Versorgung mit schnellem Internet in der Fläche. „Da gibt es regional unterschiedlich noch Licht und Schatten“, sagt der Wirtschaftsförderer ganz mit mecklenburgischer Trockenheit. LS Fotos: ZIM; Invest in MV GmbH, Thomas Ulrich 18 4/2018 Standpunkte NORDMETALL 19 4/2018 Standpunkte NORDMETALL

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