Standpunkte 4/2018

Bilder: Shutterstock, DRogatnev Seit dem 06.07.2017 gilt das Entgelttransparenzgesetz – und zeigt nur wenig Wirkung. Der Gesetzgeber wollte eigentlich das bislang flächendeckend nicht verwirk- lichte Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit för- dern und geschlechtsspezifische Benachteiligungen einzelner Beschäftigter aufdecken. Um dieses Ziel zu erreichen, wird im neuen Regelwerk u. a. das Gleich- heitsgebot in ein ausdrückliches Verbot der ge- schlechtsspezifischen Ungleichheit in Sachen Ent- gelt gewandelt (§ 3) und den Beschäftigten ein individu- eller Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber an die Hand gegeben, umdie Entgeltsysteme der Arbeit- geber transparenter zu machen (§ 10). Tatsächlich zei- gen diese Maßnahmen aber kaum eine Wirkung. Insbe- sondere der individuelle Auskunftsanspruch ist für den Arbeitgeber allenfalls mit zusätzlichembürokratischen Aufwand verbunden, ohne für die Beschäftigten die er- wünschte Entgelttransparenz zu bringen. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Pflicht zur Auskunftserteilung längst nicht allen Arbeitgebern ob- liegt. Das Gesetz verknüpft die Pflicht an die Vorausset- zung, dass der oder die Auskunftssuchende in einem Betrieb mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist. So wird klarge- stellt, dass es nicht auf die Anzahl der Beschäftigten im Unternehmen, sondern in der betriebsorganisatori- schen Einheit ankommt, der der oder die Auskunftssu- chende vertraglich zugeordnet ist. Durch den betriebs- bezogenen Schwellenwert können viele Arbeitgeber das Auskunftsersuchen ihrer Beschäftigten einfach ohne Begründung zurückweisen. Aber selbst wenn der betriebliche Schwellenwert über- schritten ist, können viele Arbeitgeber die Auskunft im Hinblick auf das maßgebende „Vergleichsentgelt“ des anderen Geschlechts ablehnen, wenn es nicht mindes- tens sechs Beschäftigte des jeweils anderen Geschlechts gibt, die die gleiche oder eine gleichwertige Tätigkeit wie der oder die Auskunftsersuchende verrichten (§ 12 Abs. 3). Bereits das Verfahren zur Feststellung der Vergleichs- gruppe und ihrer Größe kann für den Arbeitgeber mit einem erheblichen Aufwand verbunden sein. Die Fest- stellung der Anzahl an „gleichwertigen Tätigkeiten“ er- fordert nämlich eine umfassende Auswertung von Kri- terien wie die Art der Arbeit oder der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Lediglich für tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber sieht das Gesetz hier eine Erleichterung vor: Zur Vergleichsgruppe gehören all jene Beschäftigten, die in die gleiche Entgeltgruppe fal- len wie der oder die Auskunftssuchende (§ 11 Abs. 3). „Für uns gestaltete sich die Erstellung der Auskünfte recht leicht, da wir uns im Vorfeld ein System zur Be- stimmung der Vergleichsgruppen überlegt hatten, das sich an unserer Vergütungsstruktur orientiert“, sagt Annica Laging von der People & Culture Service Divisi- on Europe bei Nordex Energy. „Auffällig war, dass viele ihr Anfragegesuch mit vielen Paragraphen des Ent- gelttransparenzgesetzes verpackten, jedoch die Ver- gleichstätigkeit vergaßen. Auf intensive Nachfrage er- hielten wir aber auch diese fehlende Information.“ Führt das Verfahren zur Ermittlung der Vergleichs- gruppe zu einem positiven Ergebnis, schließt sich das ebenfalls sehr zeitaufwendige Verfahren zur Ermitt- lung des Vergleichsentgeltes an. In diesem Verfah- ren geht es um die Feststellung des auf „Vollzeitäquiva- lente hochgerechneten statistischen Medians des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgeltes“ so- wie der vomAnfragenden eventuell benannten Entgelt- bestandteile (§ 11 Abs. 3). Um diesen Median zu bestim- men, muss der Arbeitgeber bezogen auf ein Kalender- jahr die monatlichen Durchschnittsentgelte der einzel- nen zur Vergleichsgruppe gehörenden Beschäftigten ermitteln und die Beträge anschließend aufsteigend reihen. Das Entgelt, welches bei einer ungeraden An- zahl an Vergleichspersonen in der Mitte liegt oder sich bei einer geraden Anzahl an Vergleichspersonen aus dem Durchschnitt der beiden in der Mitte liegenden Entgelte ergibt, ist der Median. Anders als es die vom Gesetzgeber verwendeten Begrif- fe „Entgelttransparenz“ oder „Vergleichsentgelt“ sugge- rieren, muss der Arbeitgeber den auskunftssuchenden Beschäftigten nicht mitteilen, welche Personen eine gleiche oder gleichwertige Tätigkeit verrichten, wie hoch die einzelnen Bruttoarbeitsentgelte der Vergleichspersonen sind und aus welchen Gründen sich eine Abweichung des eigenen Entgelts vom Median er- gibt. Grund dafür ist der dem Auskunftsinteresse ent- gegenstehende Schutz der persönlichen Daten der ande- ren Beschäftigten. Aus eben diesem Grund kann der Arbeitgeber die Auskunft über das Vergleichsentgelt auch dann verweigern, wenn die konkrete Gefahr ei- ner Individualisierung einzelner Vergleichsper- sonen und ihres Arbeitsentgeltes besteht. Bereits die vom Gesetzgeber vorgesehenen Schwellenwerte und der Datenschutz führen folglich dazu, dass viele Aus- kunftsgesuche gänzlich oder in Teilen unbeantwortet bleiben. Das Ziel einer höheren Transparenz wird deut- lich verfehlt. Selbst einen fundierten Hinweis auf eine mögliche geschlechtsbezogene Entgeltungleichheit lie- fert der Vergleich des eigenen Entgelts mit dem „statis- tischenMedian“ nicht. „In der Übergangsphase vom ersten zum zweiten Quar- tal erhielten wir vermehrt Aufragen von Mitarbeiterin- nen“, sagt Annica Laging von Nordex. „Generell blieb ein Ansturm an Anfragen aus und es gab auch wenige Beschwerden nach Erteilung der Auskunft“, so Laging. „In den meisten Fällen gaben sich die Beschäftigten mit der Auskunft zufrieden.“ Die fehlende Wirkung des Auskunftsanspruchs zeigt sich aber auch daran, dass das Entgelttransparenzge- setz keine Konsequenzen bei einer ggf. indizierten Ent- geltungleichheit vorsieht. So ist weder eine automati- sche Anpassung des Arbeitsentgeltes nach oben noch eine Sanktion für den Arbeitgeber etwa in Gestalt eines Bußgeldes vorgesehen. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, muss den Arbeitgeber unter Zugrundelegung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verklagen. Vor Gericht hat der Arbeitgeber immer noch die Mög- lichkeit, das geringere Entgelt als Indiz für eine Diskri- minierung wegen des Geschlechts mit sachlichen Argu- menten zu widerlegen. Fazit nach 15 Monaten Entgelttransparenzgesetz: Dieses Bürokratiemonster schafft viel Arbeit und wenig neue Erkenntnisse. PSchle Quelle: Gehalt.de, nicht repräsentative Befragung vom 01.03. bis zum 06.04.2018, n = 1.862 ArbeitnehmerInnen plus 319 Arbeitgeber Unternehmen erhalten nur wenige Auskunftsersuchen Entgelttransparenzgesetz Werden Sie von Ihrem neuen Recht Gebrauch machen? Ja 33 % Nein 28 % Vielleicht 39 % Gibt es bei Ihnen schon Fälle von individuellen Auskunftsersuchen? Ja 23 % Nein 77 % Warum waren Sie mit dem Ergebnis unzufrieden? Zu wenig Aussagekraft 44 % Anderes Stellenprofil verglichen als von mir genannt 22 % Ich habe mehr erwartet 22 % Sonstiges 12 % Arbeitnehmer Arbeitgeber Falls nicht, was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem? Zu großer Aufwand 11 % 25 % Keine rechtlichen Konsequenzen bei zu hohen Entgeltlücken 36 % 32 % Arbeitnehmer werden zögern, davon Gebrauch zu machen 41 % 27 % Sonstiges 12 % 16 % Viel Bürokratie, wenig Erkenntnisse 14 4/2018 Standpunkte NORDMETALL 15 4/2018 Standpunkte NORDMETALL

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